Chris Campes Praxisbuch Brush Lettering
[Buchrezension]
Dass ich ein Fan von Chris Campes Stil bin, was das Schreiben von Büchern zum Thema Handlettering betrifft, ist spätestes seit meinem Beitrag zu meinen Lieblingsbüchern kein Geheimnis. Als Chris mir ein Rezensionsexemplar ihres neuesten Werkes Praxisbuch Brush Lettering in Aussicht stellte, ahnte ich bereits, dass ich bald ein sehr interessantes Werk in Händen halten würde.
Meine Erwartungen wurden übertroffen. Nun kenne ich schon eine ganze Menge Handlettering-Bücher, die sich ganz oder teilweise dem Lettern mit Brushpens widmen. Ich schaue sie mir gerne an, auch wenn inhaltlich vieles Ähnlich ist. Wie in einem Mathebuch für Grundschüler erwarte ich keinesfalls, dass in jedem Werk das Rad neu erfunden wird. 2+2 ist vier und das Brush Lettering erlernt man am besten zuerst durch das Üben der Basisstriche (siehe auch mein Ansatz: Brushlettering Lernen). Doch darüber hinaus heißt es allzu oft nur noch: Nachmalen.
Chris jedoch beleuchtet jedes erdenkliche Detail der Schrift. Sie erklärt nicht nur verschiedene Alphabete und ihre Zusammensetzung – Strich für Strich. Mit unzähligen anschaulichen Beispielen zeigt sie auch die wichtigen Details, die ein Brushlettering so richtig schön machen: regelmäßige Abstände und Buchstabenverbindungen zum Beispiel. Oder wie Schnörkel gezeichnet und geformt werden müssen, damit sie harmonisch wirken. Zwischendurch lockert die Autorin die vielen Informationen mit Tipps, guten Beispielworten zum Lettern oder einem Abschnitt zur Motivation auf.
Sogar Grundlagen der Farbenlehre lässt sie nicht aus und zeigt auch einige Schrifteffekte und Schmuckelemente, mit denen Dein Brushlettering noch spannender wird. Einen 19-seitigen Abschnitt widmet Chris Campe dem Thema Layout und Komposition – und als wäre der Umfang des Buches nicht schon riesig, gibt es zusätzlich einen kostenlosen Download mit 42 Übungsblättern! Hinten im Buch ist ein Code eingeklebt, mit dem man sich die Worksheets herunterladen und ausdrucken kann. Darin sind Linienraster und alle Buchstaben zum Üben aufgeführt. Fantastisch!
Inhaltsverzeichnis
Ich fasse das Inhaltsverzeichnis hier kurz für Dich zusammen, damit Du Dir einen Überblick über die Themen verschaffen kannst, die Chris so ausführlich behandelt.
- Werkzeug, Material und Arbeitsweise
S. 15 – 31 - Grundlagen (Vokabeln, Anatomie, Schrifteingeschaften, Proportionen, …)
S. 32 – 37 - Aufwärmübungen und Grundstriche
S. 43 – 52 - Buchstaben, Ziffern & Zeichen (Strich für Strich mit Erklärungen!)
S.62 – 82 - Buchstaben verbinden
S. 84 – 89 - Tipps und Übungsanleitungen
S. 90 – 101 - Schriftvariationen und Alphabete (ich liebe dieses Kapitel!)
S. 105 – 140 - Effekte, Farbe, Schnörkel und Schmuckelemente
S. 144 – 180 - Layout und Komposition
S. 187 – 199 - Galerie (Blick über den Tellerrand zu anderen Handlettering-KünstlerInnen)
207 – 217… und ganz hinten im Buch unter „Ressourcen“ ein Hinweis auf die Bunte Galerie. YAY! =)
Fazit
Was mich an diesem Buch sehr fasziniert, ist die Vollständigkeit, mit der Chris die Informationen aufgearbeitet hat. Ihr Praxisbuch ist fast wie ein Lexikon, dass man immer wieder aufschlagen kann, bevor man sich über eine Detailfrage den Kopf zerbricht. Für einen absoluten Anfänger mag das vielleicht ein bisschen viel sein – es kommt wohl darauf an, wie ambitioniert man ist. Wenn man es jedoch ernst meint und wirklich Brushlettering lernen möchte, ist das definitiv das beste Buch, das ich bis dato kenne. Wenn ich mir etwas wünschen dürfte, dann noch ein Buch von Chris, das sich dem Thema Layout und Komposition widmet.
Interview mit Chris Campe
Chris hat sich die Zeit genommen, mir einige Fragen zu beantworten! Auch dafür ganz herzlichen Dank!
Ludmila: Liebe Chris, Dein Buch ist sehr umfangreich – nicht nur inhaltlich, sondern auch, wenn man die Anzahl der Grafiken betrachtet. Du musst eine Menge Zeit mit dem Brushpen und auch vor dem Scanner verbracht haben. Hast Du jetzt erst mal genug vom Brushlettering oder freust Du Dich auf weitere Projekte mit dem Pinselstift?
Chris: Du hast Recht, für das Buch habe ich monatelang Beispiele gezeichnet, gescannt und bearbeitet. Am Ende hatte ich rund 700 Blatt DIN A4 voller Brush-Lettering-Beispiele. Jetzt freue ich mich, mal wieder andere Dinge zu tun, zum Beispiel groß malen auf Wänden und auf Papier – jeden einzelnen Buchstaben so groß wie ein Blatt DIN A4.
Ich freue mich aber auch, dass ich durch die Arbeit am Buch im Brush Lettering viel, viel besser geworden bin und den Pinselstift genauer kontrollieren kann. Das ist nämlich das Tolle daran, Bücher zu schreiben: Ich schreibe nicht einfach all das auf, was ich weiß, sondern lerne dabei selbst noch sehr viel. Hinterher weiß und kann ich viel mehr als vorher.
Ludmila: In Hamburg gibst Du regelmäßig Brush- und Handlettering Workshops, konzentrierst Dich dabei aber eher auf Designer und Menschen, die schon etwas Erfahrung mit dem Umgang mit Stift und Papier haben. Was sollte ein Anfänger tun, damit er in Deinen Workshop kommen kann und sich dort gut aufgehoben fühlt?
Chris: Lettering ist für mich eine Fachrichtung im Design und ich finde es toll, wie vielseitig man Schrift als Ausdrucksmittel verwenden kann. Doch dazu muss man wissen, wie Buchstaben funktionieren und das möchte ich in meinen Workshops vermitteln. Denn wenn man die Grundlagen der Schriftgestaltung einmal verstanden hat, ist man nicht mehr darauf angewiesen, die Alphabete anderer nachzumalen und kann machen was man will.
Ich habe meine Workshops letztes Jahr auch deshalb überarbeitet und sie auf Designer und ambitionierte Laien ausgerichtet, weil die Gruppen vorher zu heterogen waren: Auf der einen Seite saßen Teilnehmerinnen, die an Lettering als Hobby interessiert waren, aber seit Jahren keinen Stift mehr in der Hand hatten. Auf der anderen Seite Logodesignerinnen, die jeden Tag mit Schrift arbeiten. Wenn das Niveau so weit auseinanderklafft, ist es schwierig, die Gruppe zusammenzuhalten und alle mitzunehmen.
Bei den Brush Lettering Workshops kommen auch Anfänger gut mit, weil wir bei den Basics beginnen. Da ist es sogar manchmal eher hinderlich, wenn jemand schon viel Brush Lettering geübt hat und den eigenen Stil nicht mehr so recht loslassen kann. Die Handlettering Workshops sind für absolute Anfänger ohne geschultes Auge und trainierte Hand vielleicht ein bisschen zu anspruchsvoll.
Ludmila: Dein Fachwissen zum Thema Schriftgestaltung ist augenscheinlich sehr groß und Deine Erfahrung spiegelt sich in Deinen Letterings wieder. Wie hast Du Dir Deinen Fundus aufgebaut und welche Tipps zur Weiterentwicklung der eigenen Kunst kannst Du Handlettering-KünstlerInnen geben, die bereits über die Grundlagen hinausgewachsen sind?
Chris: Ich habe Illustration studiert und Kulturwissenschaften. Im Studium wirkte Schrift immer wie etwas, an das man sich erst heranwagen darf, wenn man wirklich so richtig Ahnung hat. Vor lauter Angst, etwas falsch zu machen, habe ich jahrelang penibel aus Schriftmusterbüchern abgezeichnet. Doch dann habe ich einen Kalligrafie-Workshop bei Barbara Calzolari belegt und Spencerian gelernt – eine strenge, filigrane amerikanische Schreibschrift aus dem 19. Jahrhundert. Am Ende der zwei Tage hat Barbara gesagt: „So, und jetzt übt ihr das mal jeden Tag 20 Minuten!“
Wir dachten alle „Die spinnt wohl!“ aber dann fiel mir ein, dass ich ja auch jeden Tag Kaffee trinke und sogar jeden Morgen Yoga mache. Zu dieser Routine habe ich dann eben noch das Schreiben üben hinzugefügt und ein halbes Jahr lang jeden Tag Spitzfederkalligrafie geübt. So habe ich nach und nach den Zusammenhang zwischen Schreibwerkzeug und Buchstabenform verstanden. Irgendwann bin ich von der Spitzfeder auf den Brushpen umgestiegen, die Prinzipien sind ja die gleichen. Alles weitere habe ich durchs Üben, Anwenden und durchs Bücher schreiben gelernt.
Obwohl Lettering inzwischen so ein großes Thema ist, ist die Angst etwas falsch zu machen immer noch verbreitet. Viele Illustratoren trauen sich nicht recht an Schrift ran, weil sie Angst haben, gegen die ehernen Regeln der Typografie zu verstoßen. Und viele Grafiker denken, sie können nicht zeichnen. Für diese Menschen sind meine Bücher. Und für alle, die nicht nur hübsche Buchstaben zeichnen wollen, sondern auch verstehen, was sie da tun. Mit meinen Büchern will ich Hemmschwellen abbauen und Ehrfurcht nehmen – ohne das Thema unangemessen zu vereinfachen.
Dass man nur besser wird, wenn man so viel wie möglich übt, ist hinlänglich bekannt. Doch man braucht neben der praktischen Erfahrung auch analytische Skills, um die Schwächen der eigenen Arbeit zu erkennen und daran zu arbeiten. Deshalb ist es gut, sich viele unterschiedliche Schriftbeispiele und Arbeitsweisen anzusehen und dabei nicht nur zu denken „Oh, toll!“ oder womöglich „Oh, toll, das könnte ich nie!“, sondern „Was spricht mich an diesem Entwurf an? Was funktioniert daran? Was hätte ich anders gemacht?“ Ich nehme außerdem immer noch regelmäßig an Workshops teil, denn es ist aufschlussreich, sich mit anderen auszutauschen und zu sehen, wie sie arbeiten. Videos, Onlinekurse und gute Bücher leisten einen ähnlichen Dienst.
Ludmila: Im Internet bist Du unter „allthingsletters“ zu finden. Ekläre uns bitte, wie Du auf den Namen gekommen bist!
Chris: 2012 kam ich nach meinem Studium aus den USA zurück und hatte viele Baustellen: Ich war Grafikerin für Zeitschriften, hatte einen Lehrauftrag an meiner ehemaligen Hochschule unterrichtet, habe freie Lettering-Arbeiten für Ausstellungen gemacht und hin und wieder illustriert. Irgendwann war ich überfordert und verwirrt und habe deswegen ein Coaching gemacht. Die Frau, die mich gecoacht hat, meinte: „Wenn du die ganze Zeit versuchst, fünf Sachen gleichzeitig voranzutreiben, kommst du mit keiner richtig weit. Such dir eine Sache aus, mach sie mal drei Jahre und schau, wie weit du damit kommst. Ich dachte: „Also wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich nur noch Buchstaben machen!“ Und dann fiel mir auf: „Ich kann es mir ja aussuchen!“.
Also habe ich mir im Sommer 2014 „All Things Letters“ auf die Website geschrieben und mache seitdem dem ALLES mit Buchstaben: Buchcover, Bücher, Logos, Illustrationen und Wände. Den Namen habe ich gewählt, weil ich wollte, dass damit sowohl Text als auch Gestaltung gemeint sein kann, denn ich mache ja nicht nur Lettering, sondern schreibe eben auch viel. Mein Medium ist eigentlich Sprache – egal, ob nun als Text oder als Bild. Das sieht man auch an meinen Büchern, die ich komplett selbst schreibe und gestalte, sodass Sprache und Form genau zum Inhalt passen und ganz aus einem Guss sind.
Ludmila: Zeigst Du uns eines Deiner ersten Anfängerwerke, auf das Du richtig stolz gewesen bist?
Ich habe eine Zeichnung rausgesucht, die 2009 Teil meines Diploms war, in dem es um die Widersprüche des Selbstständig seins ging. Ich mag die Zeichnung, weil sie sozusagen die erste urkundliche Erwähnung des Begriff „Handlettering“ in meinem „Werk“ ist. Ich hatte ihn schon 2008 von der Britischen Illustratorin Linzie Hunter aufgeschnappt, als in Deutschland noch niemand wusste, was Lettering ist. Wie schön, dass sich das geändert hat!
Ludmila: Hast Du es noch einmal neu umgesetzt um den Unterschied zu sehen?
Chris: Eine Neuumsetzung habe ich leider nicht, auf die Idee würde ich gar nicht kommen, vor lauter neuer Ideen, die alle noch darauf warten umgesetzt zu werden! 😉
Du findest Chris im Internet unter allthingsletters.com und bei Instagram ebenfalls unter dem Namen @allthingsletters.